Warum wahre Künstler Taxi fahren sollten …

Kunst und Ökonomie: Gerne als zwei Kontrahenten betrachtet, die sich argwöhnisch gegenüber stehen. Auf der einen Seite der edle Künstler, von der Hand in den Mund lebend und der hohen Kunst verpflichtet, ohne Sinn dafür, wie er sein Leben bestreitet. Auf der anderen Seite der schnöde Ökonom, dem es nur um Geld und Wirtschaft geht, den armen Künstler ausbeutend oder dessen ehrenvolle Ambitionen und künstlerischen Fähigkeiten nicht erkennend. Ist das so?

Nun, zunächst ist die Ökonomik, die Wirtschaftswissenschaft, in den letzten Jahrzehnten immer näher an andere Fachgebiete herangerückt, wie zum Beispiel die Soziologie.

Wenn sich heute Ökonomen wissenschaftlich mit Kunst beschäftigen, dann geht es dabei nicht nur darum Geld einzunehmen und auszugeben, sondern in allgemeiner Form um die Analyse des Nutzens, den die am Kunstmarkt handelnden Akteure aus ihrem Treiben ziehen. Dieser Nutzen muss sich also nicht nur finanziell ausdrücken lassen. Es mag auf den ersten Blick irritierend erscheinen, dass sich Wirtschaftswissenschaftler auch mit Dingen beschäftigen, die nicht mit Geld zu tun haben. Es ist besser zu verstehen, wenn man die Ideen, für die der Amerikaner Gary S. Becker Anfang der 1990er Jahre den Nobelpreis erhielt, kurz (und stark vereinfacht) skizziert: Jeder Mensch hat eine Nutzenfunktion, sogar beispielsweise in einer Beziehung zu einem anderen Menschen. In dieser Beziehung gibt es „Erlöse“, also positive „Einnahmen“, wie zum Beispiel die Liebe eines Partners; aber auch „Kosten“, wie Leid oder Frust. Übersteigen die „Kosten“ die „Erlöse“, wird das „Ergebnis“ negativ und man trennt sich von seinem Partner (wobei die „Kosten“ für die Trennung vom Trennenden natürlich schon berücksichtigt sind, falls das hier jemand einwenden möchte).

So hielten Faktoren Einzug in die Wirtschaftswissenschaften, die mit Geld nur indirekt oder gar nichts zu tun haben. Und die Ökonomen machen in der Folge auch vor der Kunst nicht halt, so dass sich die Kunstökonomik schon längere Zeit als Zweig der Wirtschaftswissenschaften etabliert hat.

Grundsätzlich orientiert sich die Kunst- und Kulturökonomik natürlich an Zahlen. So versucht sie herauszufinden, wie viel Geld Besucher für Ausstellungen ausgeben würden oder auch, ob es aus finanzieller oder wirtschaftspolitischer Sicht sinnvoll ist, dass der Staat Museen fördert und Kunstwerke kauft und in den öffentlichen Raum stellt. Sie analysiert, ob Theater zwangsläufig Zuschüsse benötigen oder ob Ausgaben in Kunst und Kultur multiplizierende Effekte haben. Wirtschaftswissenschaftler forschen im Bereich der Auktionen und analysieren die Hintergründe für die Preisbildung am Kunstmarkt. Kurz: Sie sind auch in der Kunst überall unterwegs. (Gott sei dank merkt man sie dort in der Regel nur selten …) Aber zu welchen Erkenntnissen kommt die ökonomische Forschung auf dem Kunstmarkt? Gibt es etwas, das auch dem gemeinen Künstler hilft? Die Antwort ist: jein.

Die Erkenntnisse aus den Forschungen zeigen, dass die Mehrheit der Bevölkerung die Förderung von Museen und Kunst im Allgemeinen für wichtig und richtig erachtet. Kulturelle Angebote sind die Basis für eine florierende Wirtschaft. Sie sorgen für eine Infrastruktur, in der sich Menschen wohlfühlen – und zwar auch dann, wenn diese die Angebote gar nicht nutzen. Allein die Möglichkeit, dass sie es könnten, ist offensichtlich sehr wichtig.

Kulturelle Vielfalt ist ein relevanter Faktor in der Bewertung einer Region. Und diese kulturelle Vielfalt ist auf die Zuwendungen angewiesen, die von staatlicher Seite fließen. Das kommt natürlich den Künstlern zugute, aber nicht allen. Hier trifft es im Positiven vor allem die „großen Künstler“, die von der Kunstszene zu „Stars“ erklärt wurden. Aber im Sog dieser bekannten können auch die unbekannten Künstler ihre Nischen, ihr Publikum und ihre Käufer finden.

Und da kommen wir wieder zu Gary S. Becker und seinen Ideen.  Wer künstlerisch tätig ist, tut dies aus unterschiedlichsten Motivationen heraus. Als „edelste“ dieser Motivationen gilt gerne Kunst um der Kunst willen zu erschaffen. Ein solcher Künstler ist Künstler, weil er Künstler sein muss! Weil sein Innerstes danach schreit und er sich mit den Mitteln seiner Wahl künstlerisch ausdrücken will.

Betrachten wir die Nutzenfunktion des „Künstlers um der Kunst willen“: Seine größte Erfüllung findet er in Ausübung seiner Leidenschaft. Ein Bild zu malen, eine Skulptur zu erschaffen, sich und seine Seele, seine Visionen und Gedanken zu visualisieren, das ist das Größte für ihn. Mehr als alles Geld der Welt. Aber dennoch: Auch er muss leben, essen und trinken, braucht ein Dach über dem Kopf. Und dafür braucht er Geld. Doch wie soll er Geld verdienen, wenn er doch die Zeit benötigt, um zu malen oder bild zu hauern?
Die Antwort, die aus seiner persönlichen Nutzenfunktion resultiert, wird sein: So viel wie möglich Kunst machen, so wenig wie nötig Geld verdienen. Und hoffen, von der Kunst selber leben zu können. Und dies ohne zum Kunststar zu werden, denn dann wird das Geld die wahre Intention vernichten, fragwürdige Berater werden auf den Plan treten, die Gier, der Kommerz sich Bahn brechen.

Daher sollten wahre Künstler Taxi fahren. Nicht als Fahrgast, dafür haben sie kein Geld. Sondern als Fahrer. Ein paar Stunden pro Woche, für das tägliche Wasser und Brot, und den langen Rest der Lebenszeit wahre Kunst erschaffen …

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